Streitpunkt Synchronstimme: Nora – die Berlinerin, die britelte

Was schon lange vor dem bevorstehenden Release für einen großen Aufschrei sorgt, ist die Bekanntgabe der deutschen Synchronsprecherin, Nora Tschirner. Im Internet gibt es viel zu wenig Material, um sich ein Urteil zu erlauben. Aber das ist das Internet, shitstorm voraus, hisst die Segel ahoi! Eigentlich schade, denn so oft stümperhafte Übersetzungen den Zuschauern Fragezeichen in die Augen malen, so oft sorgen sie für einmalige Familienabende.

Hat sich die Berliner Schnauze jetzt deftig verhustet oder nich‘? Nach mehrstündigem Spielen können wir euch beruhigen. 20 Minuten und man akzeptiert Laras neue Stimme. So lange dauert es vermutlich schon einmal nur deshalb, weil Tschirner zunächst gegen die Stimmen ihrer zahlreichen Vorgängerinnen anreden muss, die dem treuen Fan bis heute lebhaft durch den Kopf geistern. In der ersten Videosequenz nach dem eröffnenden Schiffbruch startet Tschirner in einer Tonlage, die für eine 21-jährige Lady etwas zu tief zu liegen scheint, doch spätestens wenn Lara den ersten Berg erklommen hat und ihrem Mentor zu Hilfe eilt, hat auch die „Keinohrhasen“-Darstellerin und baldige
„Tatort“-Kommissarin Tschirner den Bogen voll raus. Schon in der Höhle beweist sie situatives Gespür, etwa wenn sie ihr Selbstgespräch ängstlich und dennoch mit getragener Fassung flüstert: „Was ist das hier?“ Im Original schlägt Luddington für meinen Geschmack sogar über die Stränge (gehört und gespielt auf dem ersten Community Day in Hamburg). „What is this here?“, stößt sie abseits jedes Flüstertons aus und hyperventiliert dabei fast. Tschirners Einsatz unterstützt genau den neuen Realismus des Reboots. Wir sind in die Atmosphäre hineingezogen, die Befürchtungen sind groß gewesen, aber kein einziges Mal schreit Lara zu viel, zu hoch oder zu feige. Angstschreie, Stöhnen und Keuchen sitzen genau. Sehr nachvollziehbar, man fühlt mit. Es passt. Überaus szenisch das Ganze, im Aufwand ist die Synchro des neuen Titels mit einem Kinofilm vergleichbar. Ihr dürft also aufatmen: Der Reboot von „Tomb Raider“ erfuhr eine professionelle Synchronisierung, die sich hören lassen kann. Leichte Abstriche gibt es: Nach allem, was wir gespielt haben, unterhalten sich die Räuber in etwa so gelangweilt wie die Wachen im betagten „Thief 2“ und manche Sprüche im Multiplayer, in dem ein ernster Ton angebracht ist, erwartet man eher vor einer Schießbude auf der Kirmes.

Etwas zum Hintergrund von Synchronarbeit in Deutschland: Vielleicht die Hälfte der Deutschen könnte einem Langzeitfilm in englischer Sprache nicht ohne Verständnisschwierigkeiten folgen. Synchronisierte Fassungen kann man auch als ein Privileg ansehen. Wir bestreiten nicht, dass manche Synchros für die Tonne sind. Der Genuss der Synchronfassung steht und fällt mit der Qualität zweier Aspekte: Übersetzung und Darbietung der Synchronsprecher. Es gibt im deutschen Raum aber sogar Synchronfassungen, die den Originalen in nichts nachstehen. Die deutsche Fassung von „Little Britain“, gesprochen von Oliver Welke und Oliver Kalkofe, hat sogar Momente, in denen sie das Original übertrifft. Weiterer Punkt: Die Mentalität macht bei Sprechdarbietungen einen großen Unterschied. Das Englische ist affektiver und lauter als das Deutsche. Wir sprechen im Alltag tendenziell neutraler, trockener. In denselben Situationen gehören sich für unsere Ohren andere Töne. Englische Betonung würde uns geradezu verschrecken.

Im Folgenden seht ihr unser Interview mit Nora Tschirner sowie einige Eindrücke vom Event.