Jeder von uns „kennt“ die britische Oberschicht. Das sind die Typen, die nachmittags um fünf Uhr ihren Tee schlürfen (im frühen 18. Jh. war es noch mehr der Kaffee), dann um sechs in ihren Club gehen und um sieben mal eben eine Weltreise beginnen oder über einen Mordfall debattieren. Die Frauen schmachten derweil unter den schattigen Hecken ihrer Gärten irgendwo auf dem Land über Romanen von Jane Austin. Zumindest bis der feine Nieselregen einsetzt, der das Gras ergrünen, die Erde kleben und die Landhäuser noch ein wenig älter werden lässt.
Womit wir bei dem Thema „alt“ sind. Nun ich stelle euch mal kurz Laras überaus fiktive, weil nämlich real existierende Verwandtschaft vor. Sie kommt aus der Gegend von Hereford im Südwesten Englands und lässt sich dort bis in das Jahr 1087 zurückverfolgen, als ein gewisser Bernard de Croft im Doomsday Book vermerkt wurde. Das war ein Buch, in dem Wilhelm der Eroberer die Güterverteilung Englands verzeichnen ließ, um genaue Auskunft über Besitzstand und Lehenspflichten seines Adels zu haben.
Von den mittelalterlichen Familienmitgliedern sind kaum mehr als kurze Namenserwähnungen als Beweis ihrer Existenz erhalten geblieben. Sie hatten meist (wenn auch nicht immer) den Status eines Ritters, kamen an der Spitze ihrer Söldner ihren Kriegsdienstverpflichtungen gegen Schottland oder Frankreich nach, amtierten zum Teil als Sheriffs und wurden wiederholt als Vertreter von Herefordshire ins Parlament berufen. In den Fokus der geschichtlichen Ereignisse schafften sie es äußerst selten.
Eine Ausnahme stellte z.B. Richard Croft (1431-1509) dar. Das war ein erfahrener Berufssoldat der Rosenkriege (in denen sich der gesamte englische Hochadel gegenseitig zerfleischte). Am 2. Februar 1461 schlug man auf seinem Besitz bei Hereford die Schlacht von Mortimers Cross, in der er als einer der Unterführer des Hauses York agierte und den linken Flügel der Tudor-Armee mit einer vorgetäuschten Flucht vom Schlachtfeld lockte. Auch in der Schlacht von Tewkesbury (4. Mai 1471) spielte er eine bedeutende Rolle. Dort nahm er den Prinzen von Wales gefangen und brachte ihn anschließend zum König Edward IV., wobei nicht klar ist, welchen Part er bei der Ermordung des Prinzen spielte.
Richard Croft bekam unter dem Haus York und danach unter dem Haus Tudor mehrere höhere Posten in der Verwaltung und hatte anders als seine Vorfahren ein hohes Einkommen. Zuletzt war er der Steward des Tudor-Prinzen Arthur (gest. 1502, älterer Bruder von Heinrich VIII. mit seinen sechs Frauen). Begraben wurde er zusammen mit seiner Frau in einer kleinen Kirche direkt neben Croft Castle.
Ein anderer Croft nahe am Fokus der Geschichte war James Croft (gest. 1591), Richards Urenkel im Elisabethanischen Zeitalter. Zu seiner Zeit wog die Feder des Kanzlisten bereits schwerer als das Schwert des Soldaten und entsprechend anders gestaltete sich auch seine Karriere. James Croft hatte mehrere hohe Ämter als Befehlshaber, Gouverneur oder Botschafter inne. Hauptsächlich war er ab 1570 Königin Elisabeths Rechnungsprüfer und Geheimer Staatsrat. Er galt in der Politik als Doppelspieler und saß zweimal im Gefängnis. Natürlich saß auch er im Parlament.
Die Hereforder Linie der Crofts ist eine der wenigen Adelsfamilien Englands, die in männlicher Linie seit der Zeit des Doomsday-Buches bis heute existent ist, auch wenn es in den Adelsregistern ein paar kleinere Ungereimtheiten gibt. Zurzeit halten die Crofts zwei Baronstitel: den von 1671 und einen weiteren von 1924, die man bei Interesse problemlos im englischsprachigen Wikipedia hinterfragen kann. Der amtierende 14. Baron von Croft Castle bei Hereford, Owen Glendower Croft (*1932) lebt mit seiner Familie in Australien. Ganz offensichtlich ist er nach einem walisischen Helden aus dem frühen 15. Jh. benannt, dessen 3. Tochter damals übrigens den Großvater vom oben erwähnten Richard Croft heiratete. Womit sich der Kreis der Traditionen wieder schließt…
Croft Castle soll schon um 1470-80 existiert haben. Es finden sich aber keine Gestaltungselemente mehr aus der Zeit vor dem 16. Jahrhundert. Der 3. Baron, Sir Archer verkaufte es um 1746, und erst seit 1923 befindet es sich wieder im Familienbesitz.
Die kleine benachbarte Kirche St. Michael (links) stammt aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.